August Herbst - Theodor Ziehen

leicht gekürzt aus: Philosophie ist Kritik: zur Methode von Physik und Metaphysik; Festschrift für Ulrich Hoyer / hrsg. von August Herbst und Harald Schwaetzer. Regensburg: Roderer, 1998, 143-159

August Herbst

Phänomenale Metaphysik

Wenn ich kennte den Weg des Herrn,
Ich ging ihn wahrhaftig gar zu gern;
Führte man mich in der Wahrheit Haus,
Bei Gott! Ich ging nicht wieder heraus.
Goethe

Dieses Goethe-Zitat stellte Eduard May (1905-1956) seiner 1941 erschienenen und preisgekrönten Arbeit "Am Abgrund des Relativismus" als Motto voran. Da es Eduard May um die Überwindung des Relativismus zugunsten einer gesicherten und wahren Erkenntnis geht, habe ich mir dieses Motto von ihm entliehen. May, auf den ich im Weiteren nicht weiter eingehen werde, schlägt als Weg zur Lösung dieses Problems die Hinwendung zu einem methodisch begründeten Vorgehen vor, welches nach Hugo Dingler (1881-1954) letztlich in der menschliches Praxis begründet ist und einen für jedermann in nachvollziehbaren Schritten gangbaren Weg der Wirklichkeitserkenntnis zeigen soll.

In seinem Aufsatz zur "Philosophie naturwissenschaftlicher Prognosen" (1992) verdeutlicht Ulrich Hoyer am Beispiel des Energieerhaltungssatzes von Robert Mayer, daß dieser Satz methodisch begründet ist. Diese methodische Begründung, die ähnlich auch bei Leibniz zu finden ist, läßt sich folgendermaßen formulieren:

Dieser Satz ist weder empirisch begründet noch empirisch zu widerlegen. Er gibt eine Methode an, wie vorgegangen werden soll, und kann daher methodisch genannt werden. Gleichzeitig ist er normativ, da er das Festhalten an dieser Methode fordert. Überempirische Sätze wie dieser werden der philosophischen Metaphysik zugerechnet, die nach den letzten Grundlagen unseres Seins und Denken fragt und deren Ziel im Auffinden wirklicher Erkenntnis im platonischen Sinne der episteme liegt, im Gegensatz zur bloßen Kenntnis der doxa (vgl. Hoyer 1992, 901).

Was Metaphysik aber nun genau sei, etwas "nur" Philosophisches oder Wissenschaft, ist immer wieder hinterfragt und unterschiedlich beantwortet worden. Gegen die Metaphysik wurde (und wird) angeführt, sie sei dogmatisch, verweigere jede Belehrung durch die Erfahrung und sei daher zu reformieren oder gar zu überwinden.

Im Folgenden möchte ich, eine Anregung Karl-Otto Apels aufgreifend, zunächst für eine Unterscheidung zwischen Metaphysik und Erster Philosophie plädieren, um dann beispielhaft den Ansatz Theodor Ziehens unter der Fragestellung zu diskutieren, ob eine Erste Philosophie ohne Metaphysik möglich ist. Dazu werde ich darzulegen haben, wogegen sich Ziehen wendet, wenn er "Metaphysik" ablehnt, und was er unter Erster Philosophie versteht. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Begriff der "Transzendenz", gegen den er polemisiert. Ich versuche dann zu zeigen, unter welchen Bedingungen man Ziehens Erste Philosophie durchaus als "Metaphysik", und zwar als phänomenale Metaphysik, bezeichnen kann.

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Apels Anregung

Karl-Otto Apel plädiert in seinem Aufsatz "Kann es in der Gegenwart ein postmetaphysisches Paradigma der Ersten Philosophie geben?" (1993) für eine Unterscheidung zwischen Metaphysik und Erster Philosophie gegen die an Aristoteles und seine Kommentatoren orientierte Gleichsetzung beider Begriffe.

Nach dem Aufweis Kobuschs ist der Name "Metaphysik" für jene Disziplin, die Aristoteles selbst noch "Erste Philosophie", "Weisheit" oder "Theologie" nannte, erstmals bei einem Peripatetiker aus der zweiten Hälfte des 1. Jh. vor Christus belegt. Er soll demnach den aristotelischen Erkenntnisweg kennzeichnen, der von den sinnfälligen physischen Gegenständen zu den übersinnlichen metaphysischen führt (vgl. Kobusch 1980, 1188). Diese Feststellung motiviert die Unterscheidung zwischen "Erster Philosophie" und "Metaphysik". Kennzeichen für die "Erste Philosophie" ist die Frage nach der oder den Grundlagen (allen Seins, Denkens, Erfahrens, Diskutierens usw.); "Metaphysik" steht für den Erkenntnisweg vom sinnlich Erfahrbaren zum "Übersinnlichen".

Was als unhinterfragbare Grundlage zu dienen hat, wechselte im Lauf der Geschichte, wobei als Kriterium dafür oft die Vorgaben aus anderen Lebens- und Praxisbereichen herangezogen wurden, wenn sie nur versprachen, zu sicheren Erkenntnissen zu führen. Diese Versuche, die Metaphysik zu überwinden, sind nach Apel alle gescheitert. Auf das Warum werde ich weiter unten zu sprechen kommen. Welche Wandlungen sich mit dem Begriff Metaphysik vollzogen haben und welche - von Apel als Paradigma bezeichnete - Grundformen von "Metaphysik" sich dabei herausgebildet haben, will ich im folgenden grob skizzieren.

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Zur Begriffsgeschichte der Metaphysik

[...]

Gegen eine Metaphysik, welche sich allein durch bloße Begriffe über jede "Erfahrungsbelehrung" erhebt, richtete Kant seine "Kritik der reinen Vernunft". Aus dem "dogmatischen Schlummer" durch den Skeptiker David Hume geweckt, stellte sich Kant die Frage, ob denn die Metaphysik wirklich von Erkenntnis handle und nicht nur von Behauptungen. Diese Kritik richtet sich gegen jeden Dogmatismus in der Metaphysik.

Nach Kant blieb nur noch der kritische Weg offen; aber auch der führte wieder - und das besonders in Deutschland - in eine Richtung, die in den "spekulativen" Systemen von Fichte, Schelling und Hegel einen Höhepunkt erreichte, der mit seiner Diskreditierung zur Identitätskrise der Philosophie führte, die Schnädelbach (1983) übersichtlich nachzeichnet. Daß fast alle Kritik an der Idealistischen Philosophie gerade auch an Kant anknüpft, hat m.E. damit zu tun, daß die idealistischen Ansätze ihrerseits an Kant anknüpften. Kant ist dadurch auch so etwas wie ein Paradigma für eine bestimmte Art des Philosophierens geworden, wobei die Frage, ob er jeweils in seinem Anliegen richtig erfaßt und interpretiert wurde, hier nicht diskutiert werden kann.

Nach den unbestreitbaren Erfolgen der Naturwissenschaften und der Technik gab es seit etwa der Jahrhundertwende eine Reihe von Versuchen, aus verschiedenen Einzelwissenschaften heraus eine für alle Wissenschaften geltende, gemeinsame Ebene wiederzufinden in einem einheitlichen und widerspruchsfreien Weltbild. Als einer dieser Versuche kann auch die Philosophie Ziehens angesehen werden: zum einen kennzeichnet ihn eine kritische Haltung gegenüber der Metaphysik und zum anderen sucht er nach einem einheitlichen, widerspruchfreien Weltbild.

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Ziehens Metaphysikkritik

In dem Zitat wird Ziehens Ablehnung der Metaphysik durch die Begriffe "Transzendenz" und "Immanenz" auf den Punkt gebracht. Ziehen untersucht verschiedene Bedeutungen des Begriffs "Transzendenz". Danach wird er verwendet zur Bezeichnung

  1. "für dasjenige, was nicht zu den individuellen Bewußtseinserlebnissen meines Ich gehört (solipsistische Transzendenz),
  2. für dasjenige, was überhaupt nicht zu individuellen Bewußtseinserlebnissen irgendeines Ichs gehört (egotistische Transzendenz),
  3. für dasjenige, was überhaupt kein Bewußtseinserlebnis ist (auch keines 'Universal-Ichs', 'Bewußtseins überhaupt' u. dgl.);
  4. für dasjenige, was nicht Gegenstand eines individuellen Bewußtseinserlebnisses war und ist und auch nicht werden kann, was also - wie es oft kurz ausgedrückt wird - jede Erfahrung übersteigt,
  5. für dasjenige, was aus individuellen Bewußtseinserlebnissen nicht abgeleitet werden kann,
  6. für dasjenige, was von den individuellen Bewußtseinserlebnissen total verschieden ist." (ErkTh2.I, 12f)

Ziehen unterteilt die in dieser Aufzählung (die nach eigenem Bekunden historisch nicht vollständig ist) genannten Bedeutungen in zwei Gruppen. Die fünfte und sechste Bedeutung sind für ihn gekennzeichnet durch die Aufhebung jeder Beziehung zu den Gignomenen. Darunter versteht Ziehen alles, was wir an Empfindungen, Vorstellungen, Denk-, Gefühls- und Willenserlebnissen haben; er gebraucht dafür den Begriff "Gignomen". Transzendenz in diesem Sinne bedeutet die Abwesenheit aller Merkmale, die im Gegebenen nachzuweisen wären, und eine transzendente Erkenntnis wäre eine solche, die keinerlei Elemente des Gegebenen enthielte. Der von ihm verwendete Gegenbegriff der "Immanenz" bezeichnet alles Gegebene.

Geht man von diesem Gegebenen aus, ist es zwar möglich, einzelne Eigenschaften daraus wegzudenken, aber niemals alle:

[...]

Anders dagegen die Gruppe der ersten vier Bedeutungen. Für sie verwendet Ziehen den Begriff transgredient (im Sinne von überscheitend, über etwas hinausgehend), da für ihn Erkenntnisse, die das Gegebene in bestimmten Sinne und innerhalb bestimmter Grenzen überschreiten sehr wohl denkbar sind. So bezeichnet er z.B. in seiner Logik die Allgemeinbegriffe und -vorstellungen als "transgressiv". Allgemeinbegriffe und -vorstellungen sind zwar in Individualvorstellungen fundiert, aber eben nicht nur in jenen, die schon bekannt sind, sondern auch in jenen, "die unter die bezügliche Allgemeinvorstellung fallen können, d.h. ihr subordiniert werden können" (Log, 360). Er verdeutlicht das an einem Beispiel im Gegensatz zu Kollektivvorstellungen: Die 12 Apostel sind eine Kollektivvorstellung, die Jünger Christi - als die unbegrenzte Zahl derjenigen, die Christi Lehre vertreten haben, vertreten und noch vertreten werden - sind eine echte Allgemeinvorstellung (vgl. ebd.). Eine "erlaubte Transgression" liegt auch dann vor, wenn ich meinen Mitmenschen analoge psychische Prozesse zuschreibe oder wenn ich annehme, daß der Baum, den ich eben noch gesehen habe, auch dann noch da ist, wenn ich meine Augen schließen, weggehe usw. (vgl. Leitf.12, 337, Anm. 1) Auch in der Bildung des Begriffs einer Gattung oder eines Gesetzes liegt eine Transgredienz im Ziehenschen Sinn vor (vgl. ErkTh.2.I,13).

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Ziehens Konzept der Transgredienz

Die Möglichkeit des Transgredierens ergibt sich für Ziehen aus seiner Erkenntnistheorie. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie liegt für ihn in der richtigen Zerlegung des Gegebenen. Dieses Gegebene wurde eben schon beschrieben als alles, was wir an Empfindungen, Vorstellungen, Denk-, Gefühls- und Willenserlebnissen haben.

In unserem alltäglichen Sprachgebrauch unterscheiden wir das Wirkliche vom bloß Vorgestellten. Dabei wird das bloß Vorgestellte charakterisiert als nur Gedachtes, als Halluziniertes usw., und sprachlich unterscheidet man zwischen dem so Vorgestellten und dem, was "wirklich" so ist. Diesem allgemeinen Sprachgebrauch versucht Ziehen mit einem psychophysiologischen Argument gerecht zu werden.

Das Gegebene in diesem umfassenden Sinne läßt sich für ihn in zwei Komponenten zergliedern, den Redukten und den Parallelkomponenten: dabei sind nach seiner Definition die Redukte alle jene Elemente, die sich mit Hilfe von Kausalgesetzen, wie wir sie in den Naturwissenschaften haben, beschreiben lassen. So kann man unter Redukt, ohne hier auf alle Einzelheiten der Ziehenschen Konzeption einzugehen, [p148] zunächst durchaus die Reize verstehen, die unseren Wahrnehmungen zugrunde liegen. Man muß nur darauf achten, daß diese Reize für Ziehen etwas aus der Wahrnehmung Erschlossenes sind. Aber die Naturwissenschaften verschiedener Richtungen (Medizin, Neurologie usw.) beschreiben unter Verwendung naturwissenschaftlicher Gesetze, wie ein für uns äußerer Reiz physikalisch-chemisch bis zu den Neuronen in unserem Gehirn gelangt und so - jetzt wird es allerdings in der Deutung schwierig - "Wahrnehmung hervorruft". Eine recht gute Übersicht über den Stand des Neurobiologischen Wissens gibt zum Beispiel Roth (1994) oder auch die Aufsatzsammlung im Novemberheft 1992 der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft.

Die angedeutete Schwierigkeit liegt darin, wie dieses "Hervorrufen" zu verstehen ist. Nach Ziehen können wir in der naturwissenschaftlichen Argumentation allenfalls eine Parallelität zwischen den Hirnprozessen und den je subjektiven Erlebnissen dabei als methodisches Postulat annehmen (vgl. LSP).

Ziehen nennt daher die zweite Komponente, die sich nicht mit Kausalgesetzen erklären läßt, Parallelteil und die dafür geltenden Gesetze nennt er Parallelgesetze. Das Verhältnis zwischen den beiden Gesetzesarten stellt Ziehen auch in folgender Formel dar: G = R + N. Sie besagt, das daß Gegebene G sich zerlegen läßt in das Redukt R und den Parallelteil N, wobei die Verbindung zwischen beiden keine Summation oder ähnliches ist.

Um nun dem Sprachgebrauch von "vorgestellt" und "wirklich", der auch für Ziehen zum Gegebenen gehört und somit aus der Erfahrung ableitbar sein muß, gerecht zu werden, unterscheidet Ziehen die Redukte R (diesmal von ihm fett gesetzt) nochmal in R und R'. R steht nun für jene Redukte, die wir als Reize außerhalb unseres Körpers und unseres Gehirn verorten, R' bezeichnet die physiologischen Prozesse in unserem Gehirn, die ja auch kausal beschreibbar sind und somit zu den Redukten gehören. Bloß Vorgestelltes, nur Empfundenes oder Halluzinationen beruhen für ihn auf R'-Vorgängen, d.h. auf rein "physiologischen" Hirnprozessen, ohne nachweisbaren Reiz von "außen"; dem "wirklich Wirklichen" liegen indirekte R-Vorgänge zugrunde, d.h. Redukte außerhalb des Gehirns und außerhalb des eigenen Körpers. Indirekt nennt er sie, weil sie zur Wahrnehmung erst auf beschreibbare Weise in R'-Vorgänge transformiert werden müssen, damit es zu Parallelvorgängen, und d.h. zu Wahrnehmungen kommt.

Das Verständnis von "extramentaler Wirklichkeit" hängt somit vom Gebrauch des Begriffes "mens" ab: versteht man "mens" in Bezug auf alle psychischen Vorgänge (also sowohl das Sehen eines Baumes als auch die Erinnerung an einen Baum oder die Halluzination eines blauen Baumes), bezeichnet extramental das Gleiche wie extragignomenal, also etwas, was außerhalb unserer Erfahrung liegt. Diese Lesart kommt für Ziehen nicht in Frage: denn wie sollte man dann die "Erfahrung" des Baumes erklären. Versteht man "mens" nur in enger Beziehung auf die Denk- und Vorstellungsvorgänge, wäre jeder Empfindungsgegenstand (z.B. der gesehene Baum) extramental zu nennen und der halluzinierte Baum kann nicht "wirklich" genannt werden.

Hier zeigt sich die Gefahr des Substanzendualismus, den Ziehen überwinden möchte: [p149]

Zur Frage, wie Ziehen die verschiedenen Gesetzmäßigkeiten charakterisiert, unterscheidet und begründet, vgl. vorerst Herbst (1998).

Ziehen unterscheidet zwischen transzendentem und transgredientem Realismus. Der transzendente nimmt

Nun könnte man dem entgegenhalten, daß die Redukte so, wie Ziehen sie konzipiert hat, niemals als ebensolche erlebt werden können und damit gänzlich unerreichbar seien für die Erfahrung; man hätte dann eben doch wieder so etwas wie die tranzendentalen Dinge an sich Kants. Stellt man sich aber mit Ziehen auf den Standpunkt der Transgredienz, muß man zumindest aufzeigen, wie man aus der Erfahrung zu den Redukten kommt.

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Zur Wirklichkeit der Redukte

Ziehen teilt unsere Wirklichkeitsaussagen in zwei Klassen von Aussagen über Wirklichkeit, so daß man zwei Arten von Wirklichkeit unterscheiden kann:

"1. die unmittelbare (gegebene, erlebte) Wirklichkeit, die nur den Gignomenen selbst, wie sie unzerlegt, als Ganze (Totalgignomene) erlebt werden, zukommt,
und 2. die mittelbare, die irgendwie aus den Gignomenen durch Zerlegung erschlossen, also nicht isoliert erlebt wird und daher zunächst nur ein 'Gedankending' zu sein scheint." (ErkTh2.II, 111)

Die unmittelbare Wirklichkeit bezieht sich also auf alle Gignomenklassen und läßt sich daher in Empfindungs-, Vorstellungs-, Denk-, Gefühls- und Wollenswirklichkeit klassifizieren.

Die mittelbare Wirklichkeit wird hingegen aus den Gignomenen entweder nur durch Analyse (Zerlegung) und Abstraktion oder durch Zerlegung, Analyse und Synthese im Sinn der Generalisation abgeleitet. Auf dem Weg von Analyse gelangen wir z.B. zur [p150] 'Annahme' der Wirklichkeit der Eigenschaft 'grün' eines bestimmten individuellen Blatts, durch Abstraktion zur der Wirklichkeit der Beziehung (Relation) 'größer', 'gleich' usf. zwischen zwei bestimmten individuellen Blättern.

Damit ist aber die Frage, ob das individuelle Wirkliche eines örtlich und zeitlich bestimmten Grüns und ob das allgemeine Wirkliche 'grün', 'Pferd', 'gleich' auch unabhängig von den Gignomenen (also nicht nur als Bestandteil der Gignomene) wirklich ist, etwa im Sinn der platonischen Ideen, noch nicht beantwortet. Die Frage läßt sich in Ziehens System allgemeiner auch so stellen:

Hier kommt Ziehen wieder auf die Unterscheidung zwischen "transzendent" und "transgredient" zurück: als transzendent- wirklich müßte man dasjenige bezeichnen, was erstens kein "Totalgignomen" ist und auch nicht aus den Gignomenen als Bestandteil (Eigenschaft, Relation, Gesetz) nomistisch abgeleitet werden kann und was zweitens von den Gignomenen völlig verschieden ist. Im Gegensatz dazu steht das 'Immanent- wirkliche'. Die immanente Wirklichkeit kommt demjenigen zu, das erstens Totalgignomen ist oder aus Totalgignomenen als Bestandteil (im weitesten Sinn) nomistisch abgeleitet werden kann und zweitens von den Gignomenen nicht völlig verschieden ist.

Als Beispiel hierfür kann die Frage nach der Wirklichkeit oder Existenz von Relationen dienen. Die Behauptung, daß alle Relationen nur in unserem Denken existieren oder rein 'subjektiv' seien, wird nach Ziehen den Tatsachen nicht gerecht. Geht man beispielsweise von einen lauten Ton a und einen leisen Ton b aus, dann lassen sich bezüglich der Intensität drei Relationen zu unterscheiden:
1) die Relation der Reize (oder besser Reizredukte) Ra : Rb;
2) die Relation der Hirnerregungen (auch hier sind wieder die Redukte gemeint) R'a : R'b;
3) die Relation der Gehörsempfindung Ea : Eb. [p151]

Hierzu kommt gelegentlich noch das Denken (die Erkenntnis) der Relation der Gehörsempfindungen (3) und unter Umständen auch die Erkenntnis der hirnphysiologischen Relation (2) und der physikalischen Reizrelation (1). Wenn nun auch oft die Erkenntnis der Relation nicht vorhanden ist, so zeigt doch die Betrachtung des Gesamtverhalts, daß die Intensität zwischen den Reizen, den hirnphysiologischen Zuständen und der Gehörsempfindung verschieden sein muß. Ziehen schließt daher:

Zusammenfassend sind nach Ziehen als intragignomenal-wirklich zu betrachten:
1) alle individuellen Relationen innerhalb der Gignomene, wie z.B. räumliche oder zeitliche Ordnung oder qualitative und intensive Verhältnisse;
2) alle allgemeinen (generellen) Relationen innerhalb der Gignomene, wie z.B. Gattungen (Oxyde, Sauerstoff, Volk, Staat, Pflicht) oder Gesetze und Regeln;
3) die vergangenen Gignomene, die im gegenwärtigen Augenblick als Erinnerungsbilder oder (unbewußte) Nachwirkungen vergangener Reize vorhanden sind und die auf Grund der Gesetzmäßigkeit des Gegebenen gefordert sind;
4) die von mir anderen Wesen zugeschriebenen Gignomene, die aus meinen Gignomenen nomistisch abgeleitet sind;
5) die Parallelkomponenten unter der Voraussetzung richtiger Zerlegung;
6) die Kausalkomponenten oder Redukte. (vgl. ErkTh2.II, 114-118)

Zu beantworten bleibt immer noch die Frage, ob den nun den Redukten eine extragignomenale (und das heißt nun transgrediente) Wirklichkeit zukommt oder wie Ziehen schreibt:

Die Frage läßt sich für Ziehen zunächst durch Induktion beantworten: es ist schon oft vorgekommen, daß zuerst allein auf Grund der nomistischen Zerlegung erschlossene Redukte auch als intragignomenale Empfindungsbestandteile aufgetreten sind, wie das Beispiel der Entdeckung des Neptuns durch Leverrier und Adams zeigt (vgl. ErkTh2.II, 103). So kann Ziehen sagen:

[p152] Das zweite Argument läßt sich knapp so zusammenfassen: die wirklichen R' (Hirnrindenerregungen) und N (Parallelkomponenten) können nicht durch unwirkliche R (Redukte, 'Reize') verursacht werden(vgl. ErkTh2.II, 120). Dies ergibt sich aus den nomistischen Zusammenhang, wonach es ohne R-Redukte keine R'-Redukte und daher auch keine N gibt, womit es auch keine Gignomene gäbe. Ziehen stellt daher selbst die Frage:

Sucht man nun nach dem Gemeinsamen, dem Merkmal, welches allem Wirklichen zukommt, ist es nach Ziehen die Zugehörigkeit zu dem nomistischen Zusammenhang alles Gegebenen. Ziehen drückt ihn durch die Formeln G = R&N und R -> R'||N aus, die besagen, daß die Gignomene G nomistisch, d.h. gesetzmäßig in Redukte R und Parallelkomponente N zerlegt werden können, bzw. nach der zweiten Formel, daß die (erschlossenen) Reizredukte R kausalgesetzlich auf die Hirnphysiologie R' wirken, wobei diesen parallelgesetzlich die psychischen Empfindungen N zugeordnet sind. Dabei involviert diese 'nomistische Zugehörigkeit' immer zugleich die Einordnung in irgendeinen speziellen Umkreis gesetzlicher Zusammenhänge: einen bestimmten Kreis des Wirklichen, der durch spezifische Gesetze gekennzeichnet ist, wie z.B. den Kreis der Reduktwirklichkeit (R- und R'-Wirklichkeit) durch Kausalgesetze, der Kreis der Parallelwirklichkeit durch die Parallelgesetze. Innerhalb der Parallelwirklichkeit gibt es dann wieder spezifische Gesetze der Empfindungs-, Vorstellungswirklichkeit usf. (vgl. ErkTh2.II,120f)

Ziehen erläutert seine Überlegungen an einem Beispiel:

[p153] Ziehen hebt hier noch einmal einen wichtigen Unterschied seiner Wirklichkeitstheorie gegenüber der Kantschen hervor: Nach Kant besteht die Existenz der Dinge an sich darin, daß sie den Erscheinungen 'zum Grunde liegen'. Dies 'zum Grunde liegen' bleibt bei Kant aber völlig unaufgeklärt; denn als eine kausale Beziehung darf es von ihm nicht aufgefaßt werden, da die Kausalität als Kategorie nach Kant durchaus auf die Erscheinungswelt beschränkt ist. Demgegenüber ist die Beziehung der Redukte zur Kausalität und zu den Gignomenen nach Ziehens Auffassung durchaus klar. Die Empfindungsgignomene wie die Gignomene überhaupt stehen zu den Redukten nicht in kausalen Beziehungen, sondern enthalten sie als nomistische Bestandteile. (vgl. ErkTh2.II,125f)

Ziehen betont immer wieder, daß die 'Gebundenheit' der N-Komponenten an die R'-Komponenten keine speziell kausale ist, sondern eine funktionelle Abhängigkeit, die man sich nach Analogie der mathematischen funktionellen Abhängigkeit zu denken habe. Für ihn ist:

Ziehen resümiert seine Überlegungen über Wirklichkeit mit folgenden Worten:

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Zum Verhältnis von Wirklichkeit und Wahrheit

Dieses Resümee ist zunächst befremdlich und provoziert geradezu die Frage nach der Richtigkeit dessen, was Ziehen entwickelt hat. Nach Ziehen ist die Wahrheit - er spricht, speziell in seiner Logik, auch von materialer Richtigkeit oder Adäquatheit (vgl. Logik 273-293) - die Übereinstimmung eines Vorstellungs- oder Urteilsinhalts mit seinem Gegenstand. Erkenntnistheoretisch heißt das für ihn folgendes: Einer Vorstellung oder einem Urteil liegt immer ein Objekt "zugrunde", welches aber, wie gesagt, hinzugedacht ist. Die Vorstellung (und das Urteil) selbst und ebenso ihr Inhalt sind als [p154] solche stets wirklich, ebenso auch die damit "verschmolzene" Objektvorstellung. Dahinter steht folgende Überlegung:

Mit der Empfindung z.B. eines Baumes verbinden wir unmittelbar und gleichsam automatisch die Vorstellung eines die Empfindung hervorrufenden wirklichen Objekts oder wirklichen Gegenstandes. Unterscheiden läßt sich dabei zum einen die Vorstellung der Beziehung auf ein Ich oder ein Subjekt, welches die Empfindung "hat", und zum anderen die Vorstellung eines "Objekts" oder "Gegenstandes", der empfunden wird. Da diese Vorstellungen so eng mit der Empfindung verknüpft sind, nennt Ziehen sie "adhärente Vorstellungen" (vgl. ErkTh2.II,95) Was man gewöhnlich als Wahrnehmung bezeichnet, ist nach Ziehen eine Empfindung mit ihren adhärenten Vorstellungen (vgl. ErkTh2.I, 158 Anm. 3 und ErkTh2.II, 95 Anm. 3). Hier sieht Ziehen auch einen Grund dafür, selbst von Empfindungen und Vorstellungen auszugehen, und nicht von Wahrnehmungen (vgl. GdPsII, 85).

Diesem Objekt der Objektvorstellung schreiben wir eine der Wirklichkeitsklassen zu, die Ziehen wie folgt entwickelt hat: grundlegend sind die gignomenale Wirklichkeit, die nomistische Wirklichkeit und die logische Wirklichkeit. Die gignomenale Wirklichkeit ist entweder Empfindungs-, Vorstellungs-, Denk-, Gefühls- oder Willenswirklichkeit, je nachdem wie sie "erfahren" wird. Die nomistische Wirklichkeit ist entweder Redukt- oder Parallelwirklichkeit, je nach Gesetzesart. (vgl ErkTh2.II,97)

Ob nun aber das Objekt auch außerhalb der Objektvorstellung "Wirklichkeit" hat, ob es tatsächlich in die hinzugedachte Wirklichkeitsklasse gehört, bleibt letztlich offen. Für Ziehen ist eine Empfindung in jedem Falle "richtig" in Bezug auf R', d.h. auf den Erregungszustand des Gehirns, was sich auf Grund der Parallelgesetzmäßigkeit ergibt.

Die Aufgabe der Ermittlung ergibt sich aber auch für die problematischen letzten Wesenheiten anderer philosophischer Systeme, wie Ziehen in einer Fußnote hinzufügt (vgl. a.a.O, Anm.3). Daher gilt für Ziehen:

Die Erkenntnis Ziehens hängt mit seiner Auffassung von dem zusammen, was Philosophie und speziell die Erkenntnistheorie, leisten kann. So ist es für ihn

Und in einer Fußnote fügt er hinzu:

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Erkenntnistheorie als Erste Philosophie

Nach Ziehen beschäftigen sich die verschiedenen Wissenschaften nur mit Teilgebieten des Gegebenen (mit den Redukten, wie die Naturwissenschaften, oder ausgewählten Redukten, wie die verschiedenen anderen Disziplinen wie Biologie, Geologie Astronomie usw. oder den Parallelkomponenten, wie die Psychologie). Allein die Erkenntnistheorie hat die Aufgabe, sich mit dem Ganzen alles Gegebenen zu befassen, indem sie es sammelt, ordnet und klassifiziert und in seinen allgemeinsten Beziehungen systematisch untersucht. Historisch gehen zwar die Einzelwissenschaften voran, aber systematisch betrachtet bildet die Erkenntnistheorie die erste Grundlage aller Wissenschaft. Die von den Einzelwissenschaften in der Regel schon vorausgesetzen Abgrenzungen bestimmter Teilgebiete im Gegebenen (Materielles, Psychisches, Zeit, Raum usw) auf ihre Herleitung aus dem Gegebenen und in ihrer Beziehung zum Ganzen zu Untersuchen, ist die Aufgabe der Erkenntnistheorie. Somit deckt sich die Erkenntnistheorie für Ziehen in manchen Beziehungen mit der prote philosophia (prima philosophia) des Aristoteles. Auch die Fragen der Erkenntnisrichtigkeit und -gewißheit (Ziehen spricht auch von Geltung) gehören in die Erkenntnistheorie, da nach seiner Meinung Begriffe wie Denken, Richtigkeit, Gewißheit usw. auch erst gignomenologisch (d.h. aus dem Gegebenen) entwickelt und klargestellt werden müssen. [p156]

Da die Erkenntnistheorie in diesem Sinne auf das Ganze gerichtet ist, kann man sie durchaus als "Erste Philosophie" bezeichnen, wie Ziehen selbst es auch tut.

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Aples Kritik und sein Lösungsversuch

Ich hatte oben schon angedeutet, daß Apel die Versuche der Metaphysiküberwindung als gescheitert betrachtet. Als Hauptgründe für das Scheitern nennt Apel ein methodologisches Mißverständnis und den ontologischen Reduktionismus. Das Mißverständnis liegt für ihn darin, daß man die Möglichkeit bedingter Prognosen und ihrer Überprüfung in den empirischen Wissenschaften auch auf unbedingte Prognosen ausdehnte, d.h. auf solche, die niemals wissenschaftlich überprüfbar sind, und daß so ein pseudowissenschaftlicher Anspruch erzeugt wurde (vgl. Apel 1993, 43). Der mechanistische Naturalismus, die Ansätze einer naturalistisch-genetischen Erklärung bis hin zur gegenwärtigen Diskussion einer "gesellschaftliche[n] Sinnkonstitution" im Programm der "funktionalistischen Systemtheorie" Luhmanns kennzeichnen für ihn die Positionen ontologischen Relativismus, da sie die "universalen und zeitunabhängigen Gültigkeitsansprüche den menschlichen Denkens [...] durch Reduktion dieser Ansprüche auf dahinter verborgene Naturmechanismen" zurückführen wollen (vgl. ebd., 44). Diesen Reduktionismus bezeichnet Apel als Gegen-Metaphysik - und somit eben nicht als Metaphysiküberwindung -, die "noch bedenklicher" ist, da sie "den Geltungsanspruch der philosophischen und wissenschaftlichen Vernunft gerade in Frage" stellt und dazu "den Anspruch auf Urteilsautonomie, den alle Menschen in argumentativen Diskursen erheben müssen" "verneinen und mißachten" (vgl. ebd., 45).

Apels Kritik geht noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt, daß sich auch die grundlegenden Globalhypothesen oder Paradigmen der empirischen Wissenschaft sich "nicht unabhängig von metaphysischer Inspiration verstehen lassen" (ebd. 46). Und so kommt er zu dem Ergebnis:

Die Hervorhebungen in diesem Zitat zeigen schon, daß Apel die erste Konsequenz für plausibler hält.

Den Grund für das Scheitern der verschiedenen Ansätze mach Apel im "Fehlen einer durchgehaltenen strikten Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Geltungsansprüche" (ebd. 53) aus. Jede Metaphysikkritik muß daher, wenn sie sinnvoll sein soll, eine totale Vernunftkritik vermeiden. Was als dogmatisch angesehen werden kann oder als unkritisch im Sinne nicht hinreichender Reflexion auf die Bedingung der Möglichkeit der eigenen Gültigkeit darf und soll verworfen werden.

Seine Lösung dieser Problemlage sieht Apel in der Suche nach der "Möglichkeit einer selbst noch empirisch überprüfbaren und daher durchaus falliblen Metaphysik qua Wissenschaft der (ontologischen) Globalhypothesen" (ebd. 47) und nach Antworten auf "die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Gültigkeit hypothetischer Wissenschaft" (ebd.), was für ihn heißt, nach den Bedingungen zu fragen, die Begriffe wie "fallibel", "Überprüfung", "Falsifikation" auch nur verstehbar machen. Die Kritik an der traditionellen Metaphysik richtet sich vor allem gegen deren Dogmatismus, und dieser Vorwurf trifft auch die empirischen Wissenschaften, wenn sie diese Überprüfung ihrer Geltungsansprüche empirische herleiten will.

Die Überwindung des Persuativen der Alltagsrede meint Apel in den Paradigmen der Ersten Philosophie ausmachen zu können. Dabei kommt er zu folgenden Paradigmen:
Die dogmatische Metaphysik im vorkantischen Sinne reflektierte auf das Sein als Seiendes. Dabei verstand sie - das ist es, worauf Apel abhebt - die Begründung ihrer Gültigkeitsansprüche im Sinne von empirischen Erklärungen oder logisch-mathematischer Beweise als Ableitung von Etwas aus etwas anderem. Damit aber ist eine Letzbegründung nicht denkbar, da jede Ableitungsinstanz ihrerseits wiederum nach einer Ableitung verlangt ohne Ende (petitio principii).
Das zweiten Paradigma benennt die Transzendentalphilosophie im Sinne Kants, in der nach den Bedingungen der Möglichkeit eines objektiv und damit intersubjektiv gültigen Seinsverständisses gefragt wird und die im selbstreflexiven Denken eine methodisch nicht hintergehbare Letztbegründung im Sinne Descartes fand. Dabei fällt Kant allerding auf den Begründungsstil der ontischen Erklärung des ersten Paradigmas zurück, durch die Bindung der Erscheinungswelt an das Ding an sich.
Die Umrisse des dritten Paradigmas, die Apel zumindest skizzieren möchte, entlehnt er an der Peirceschen Setzung, daß sich die menschliche Erkenntnis "die Erfassung der Realität von Universalien als Gesetzen zutrauen müsse, und [daß sich; AH] auch die habituellen Verhaltensweisen der Menschen, welche die Kulturwelt konstituieren, als gesetzesanaloge, freilich noch unvollendete, reale Universalien" (ebd., 61) verstehen lassen müsse. Diese Setzung läßt sich nach Apel als Konzept einer transzendentalen Semiotik bezeichnen. Danach kann Wahrheit nicht, wie im ontologischen Paradigma der [p158] Ersten Philosophie, in der "von außen einsehbaren Übereinstimmung zwischen zwei Seienden bestehen: denn eine solche Beziehung ist nicht einsehbar. Wahrheit kann aber auch nicht - wie in der Evidenz-Theorie des zweiten Paradigmas vorgesehen - durch die Übereinstimmung meiner Bewußtseinsintentionen mit der Selbstgegebenheit der Phänomene hinreichend expliziert werden; denn diese Phänomene sind immer schon sprachlich interpretiert." (ebd., 62f) Nach Peirce/Apel bleibt nur der lange Weg der Wahrheitssuche, auf dem die allein für uns verfügbaren schwachen Wahrheitskriterien (Evidenz, Kohärenz, praktische Fruchtbarkeit) sich der regulativen Idee des letzten Konsenses einer unbegrenzten Erfahrungs- und Interpretationsgemeinschaft stellen muß (ebd., 63).

Die Bedeutung dieses Ansatzes sieht Apel darin, daß er "ohne jeden versteckten Anspruch einer ontischen Welterklärung" (ebd., 65) auskommt. Diese wird "restlos den falliblen Hypothesen der empirischen Wissenschaft, darunter auch den Globalhypothesen einer empirischen Metaphysik, überantwortet" (ebd.).

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Metaphysik als Methodisches Forschen

Wenn ich zu Anfang meines Aufsatzes auf den Lösungsansatz Hugo Dinglers hingewiesen habe, scheint mir, bei aller Differenz, die Ziehensche Philosophie von deren Ausgangspunkt nicht soweit entfernt zu sein. Auch Ziehen geht vom Gegebenen, von dem, was wir im Alltag vorfinden, aus, und versucht in Schritten, die für jeden nachvollziehbar sind, seine Philosophie zu entwickeln.

Seine Grundannahme, daß wir immer schon die Fähigkeit haben, das Gegebene zu strukturieren, findet er dort ebenso, wie die Weisen, wie das geschieht: Analyse, Synthese und Vergleich müssen wir schon beherrschen, um überhaupt Praxisfähig sein zu können. Die Grundfähigkeiten bilden sicher so etwas wie "die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis" bei Ziehen.

Dieser Ansatz und diese Vorgehensweise sind eine Setzung, die aber für Ziehen nicht überempirisch ist, da er sie in der Erfahrung, der Praxis, findet. Dennoch sind sie nicht durch die Empirie zu wiederlegen, da sie diese erst ermöglichen. Also ist Ziehen durchaus Metaphysiker, und da er von dem im Alltag Gegebenen, den "Phänomenen" ausgeht, kann man ihn, wie ich meine, durchaus als Phänomenalen Metaphysiker bezeichnen (wobei Phänomenal durch die Großschreibung eventuelle Assoziationen ausschließen soll; der Begriff Phänomenologisch ist schon durch die Philosophie Husserls besetzt, von der sich Ziehens Denken unterscheidet)

Da Ziehen auch keine ontischen Welterklärungen gibt, sondern, soweit ich sehe, empirische Metaphysik in Apelschen Sinne betreibt, erweist sich die Apelsche Anregung für die Einordnung des Ziehenschen Denkens in den Kanon der Philosophie als durchaus hilfreich. Daher kann ich zwar den von Goethe ausgesprochenen Wunsch durchaus verstehen, aber mindestens ebenso teile ich das Gefühl, welches Ziehen in seiner Fußnote ausdrückt: [p159]

Literatur

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Die Internet-Fassung wurde leicht gekürzt. Das Verzeichnis der Literatur finden Sie in der Printausgabe. Auf Wunsch kann ich es Ihnen auch zusenden, wenn Sie mir schreiben «ziehen@stork-herbst.de»
Phänomenale Metaphysik Aus: Philosophie ist Kritik: zur Methode von Physik und Metaphysik; Festschrift für Ulrich Hoyer / hrsg. von August Herbst und Harald Schwaetzer. Regensburg: Roderer, 1998, 143-159


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